Rechtsstaat rechts liegen gelassen

 

Der Wahlkampf 2025 stellte einen bislang nicht gekannten Höhepunkt an Verunglimpfung von gesellschaftlichen Gruppen und grob verfassungsfeindlichen und menschenrechtswidrigen politischen Forderungen dar. Der Umgang mit Grundrechten und Grundleistungen war dabei von demokratie-feindlichem, menschenrechtsverletzendem und rechtsradikalem Gedankengut geprägt.

 

Wir hatten bereits seit langem auf solche Tendenzen hingewiesen. Ein Beispiel dafür war die sog. „Zwangsverpartnerung“ aus dem Jahr 2019: Alleinstehende Erwachsene wurden in Sammelunterkünften zu mehreren Personen in einem Zimmer untergebracht. Der Gesetzgeber meinte seinerzeit, diese Allein-stehenden könnten mit Bedarfssatz 2 auskommen (Reduzierung um 10 %), weil sie ja alle gemeinsam wirtschaften könnten, wie Ehepaare, daher „Zwangsverpartnerung“. Dies wurde bereits in 2022 vom BVerfG für die Analogleistungen für verfassungswidrig erklärt und wird z.Zt. auch über die Grundleistungen vom BVerfG verhandelt.

 

Aber das war nur eine Vorstufe einer sich weiter verschärfenden Aushebelung von Grundrechten. Im sogenannten „Sicherheitspaket“ hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr einen Leistungs-ausschluss im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) eingeführt. Dieser betrifft unter bestimmten Voraussetzungen sogenannte "Dublin-Fälle", also Personen, für deren Asylantrag gemäß der Dublin-III-Verordnung ein anderer Mitgliedsstaat zuständig sein könnte. Der Leistungsausschluss wurde von verschiedenen Sozialverbänden als rechtswidrig sowohl auf nationaler wie auch europäischer Ebene kritisiert.

 

Diese Kritik hat sich als begründet heraus gestellt. Verschiedene Gerichte haben inzwischen hinsichtlich drohender Mittellosigkeit und Obdachlosigkeit eine Unvereinbarkeit der Regelung mit Grundgesetz und Europarecht festgestellt. Dabei wird verschiedentlich auch darauf abgehoben, dass Sanktionierung auch ein Fehlverhalten voraussetzt, das aber in den meisten Fällen überhaupt nicht vorliege.

 

Die bereits mit dieser Rechtsauffassung in Erscheinung getretenen Gerichte verweisen zudem regelmäßig darauf, dass die Vereinbarkeit mit Europarecht zweifelhaft sei bzw. eine Unvereinbarkeit bis zur Entscheidung des EuGH nicht auszuschließen und der Leistungsausschluss daher vorerst nicht anzuwenden sei (u.a. SG Landshut, SG Darmstadt, SG Trier).

 

Aus vorliegenden Beschlüssen wird auch ersichtlich, dass es auf Behördenseite zu einem vorauseilenden Gehorsam und zu einer unvollständigen Würdigung der Rechtslage kommt. So stellen Behörden für den Ausschluss regelmäßig bloß auf den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ab, in dem die Unzulässigkeit des Asylantrags beschieden und eine Abschiebung angeordnet wird. Es wird jedoch nicht die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Ausreise eruiert, die das BAMF nicht feststellt, und die in verschiedenen Länder überhaupt nicht möglich ist oder die Übernahmebereitschaft durch den zuständigen Staat nicht gewährleistet wurde.

 

Auf Länderebene wird hier bereits reagiert. Rheinland-Pfalz hat in einem Erlass die Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses feststellt und bis zur Ausreise bzw. Überstellung in den zuständigen Staat zumindest Überbrückungsleistungen vorgesehen.

 

Auch der seitens der Bundespolitik involvierte Abschreckungseffekt wird von Gerichten wenig Erfolg beschieden. Vielmehr sollte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtswidrigkeit der Sonderbedarfsstufen in § 3a AsylbLG vollumfänglich – d.h. auch für Leistungen nach § 2 AsylbLG – umgesetzt werden.

 

Nun stellt sich natürlich für jeden rechtsstaatlich denkenden Menschen die Frage, wie es zu einer derartigen Häufung von verfassungs- und rechtswidrigen politischen Vorstellungen, wohlgemerkt diesseits der rechtsradikalen und sicher verfassungsfeindlichen politischen Gruppierungen wie etwa der AfD, kommen kann.

 

Insbesondere konservative und auch sog. „liberale“ Parteien haben sich hier hervorgetan, teilweise sogar mit stumpfsinniger Arroganz gegenüber dem Rechtsstaat, oder sie argumentierten mit einer „Notlage“, die wohl eher im Verstand der jeweiligen Politiker geherrscht hat als im Rechts- oder Sozialsystem.

 

Konsequenzen sind aber nicht zu erkennen. Dieser Eindruck drängt sich angesichts der am 8. März veröffentlichten Ergebnisse der Sondierungen von CDU, CSU und SPD auf:

So verfolgen die bislang in der politischen Mitte angesiedelten Parteien die Richtung, Flucht und Asyl unter Nutzung des rechtspopulistischen Narrativs
„irreguläre Migration“ grundsätzlich als gesellschaftliches Problem zu kennzeichnen. Kein Wort findet sich in dem von CDU/CSU und SPD veröffentlichten Sondierungspapier zu Schutzgewährung politisch Verfolgter und Vertriebener, zur Verteidigung des Asylrechts oder überhaupt zur Verbindlichkeit der Grund- und Menschenrechte.

 

An den Grenzen sollen Zurückweisungen „in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn … auch bei Asylgesuchen“ erfolgen, was quasi eine vollständige Eliminierung des Asylrechts bedeuten würde. Die Einreise ausländischer Personen soll grundsätzlich verhindert werden, wie selbstverständlich auch von Verfolgten und Schutzsuchenden. Das ist nicht nur inhuman, sondern auch völker- und europarechtswidrig.

 

Bereits seit mehreren Jahren beobachten wir die ständige Anbiederung an rechtsradikale Gruppen und das primitive Nachäffen rassistischer und demokratiefeindlicher Phrasen. Mindestens ebenso lange haben nicht nur wir sondern zahlreiche gesellschaftliche Gruppen, Institutionen und Bürger darauf hin gewiesen, dass diese Taktik nicht verfängt, sondern nur weitere Wähler in das rechtsradikale Umfeld treibt. Die insb. bei CDU/CSU zu beobachtende Motivlage, durch Vortäuschung ideologischer Kompatibilität verwirrte oder vorübergehend orientierungslose Wähler wieder zurück in ihr konservatives Stammland zu holen, sind durchgängig gescheitert.

 

Nun ist es aber auch kaum vorstellbar, oder unsere Vorstellungskraft reicht dazu nicht aus, dass diese Erfolglosigkeit in den betreffenden Parteien nicht bemerkt worden wäre. Die Tatsache, dass penetrant weiter an dieser Dogmatik festgehalten wurde, kann also nicht mehr mit politischem Taktieren, sondern schlichtweg nur noch mit Gesinnung erklärt werden.

 

Die rechtsstaatlichen Prinzipien wurden bewusst und gezielt aufgegeben, da man am rechten Rand damit nichts gewinnen kann. Das verfassungsgeschichtlich mit dem Holocaust begründete Asylrecht wird aufgegeben. Der Rechtspopulismus und der unverhohlene Rassismus sind gesellschaftsfähig gemacht worden.

 

Kaum zu ahnen, wie wir aus dieser Sackgasse wieder heraus kommen werden. Aber in der Zivilgesellschaft und auch bei einigen diesseits des rechtpopulistischen und rechtsradikalen Spektrums vorhandener Parteien sind gewisse Anhänglichkeiten an die Grundfesten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, nämlich Menschenwürde und Menschenrechte, noch nicht verloren gegangen, und mal mehr, mal weniger deutlich zu erkennen. Darauf lässt sich aufbauen.

Frank Schöler