Der Mord an einem Deutschen in Chemnitz, für dessen Verübung bisher zwei Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak verdächtigt werden, hat die Sicherheitsdebatte in Deutschland einem weiteren Höhepunkt zugetrieben. Reflexartig vereinnahmte die rechtspopulistische Szene den Vorfall für eigene Propagandazwecke. Darin unterscheidet sie sich nicht vom IS, der ebenfalls sämtliche Anschläge weltweit für eigene Propaganda ausschlachtet. Seit bekannt ist, dass das beklagenswerte Opfer der Gewalttat ein politisch links stehender Mann mit Migrationshintergrund ist, wird seitens der Rechtspopulisten die Identität des Opfers nicht mehr erwähnt. Das ist auch nicht nötig, da die Propagandawelle bereits in vollem Schwung ist.
Inzwischen haben die rechten Täuschungskanäle eine solche Durchschlagskraft, dass das Thema eine überragende Bedeutung bekommt und dem verbreiteten Eindruck Nahrung liefert, Deutschland sei durch die Anwesenheit von Flüchtlingen unsicherer geworden. Da hilft auch kein Hinweis auf die gesunkenen Fallzahlen in der Kriminalitätsstatistik oder auf bereits vor der Flüchtlingswelle überdurchschnittlich repräsentierte Straftäter mit Migrationshintergrund, was durch überdurchschnittlich prekäre Lebenssituationen erklärbar war. Die bis vor einigen Jahren gültige Logik ist heute außer Kraft gesetzt, Hintergründe und Erklärungen werden nicht mehr nachgefragt, es genügt die bloße propagandistische Auslegung, um zumindest in Teilen der Bevölkerung die beabsichtigte Wirkung zu erzielen.
Der höhere Anteil von ausländischen Straftätern wird unbegründet den Flüchtlingen zugeschoben, um ausländerfeindliche und rassistische Ressentiments zu schüren. Die Tatsache, dass Menschen mit syrischer, irakischer und afghanischer Abstammung, also die Hauptgruppe der Flüchtlinge, unterdurchschnittlich an Gewalttaten beteiligt sind, interessiert niemanden. In der Sendung „Maischberger“ vom 29.08.2018 entblödet sich auch Talkshowjunkie Wolfgang Bosbach nicht, ins gleiche Horn zu stoßen, wirft aber doch in einem Nebensatz ein, dass diese Gewalttaten überwiegend innerhalb der Gruppe der Flüchtlinge verübt werden, was die Sache aber nicht besser mache. Nein, besser nicht, aber die Erklärung ist geliefert, wenn auch von ihm nicht ausgesprochen.
Im Jahr 2017 kam es in Deutschland zu 2.379 Tötungsdelikten, bei 75 davon waren Flüchtlinge die Tatver-dächtigen. 52 Opfer der Flüchtlingen zugeschriebenen Tötungsdelikte waren selbst Flüchtlinge, über 25 % der Straftaten werden in Erstaufnahmeeinrichtungen verübt (alle Angaben aus der Kriminalitätsstatistik des Bundes, Bundeslagebericht 2017).
Flüchtlinge sind nicht signifikant höher an Tötungsdelikten beteiligt, ohne Flüchtlinge wäre unser Land nicht sicherer, es blieben immer noch über 2.300 Tötungsdelikte übrig. In der Tat werden Gewalttaten von Flüchtlingen häufig durch deren miserable und prekäre Wohnsituation ausgelöst. Viele geflüchtete Menschen leben seit Jahren in Sammelunterkünften auf engstem Raum, haben keine Intimsphäre, müssen sich sanitäre Einrichtungen und Küchen mit anderen Menschen teilen. Junge Männer werden häufig ungeachtet der religiösen oder ethnischen Hintergründe zu mehreren Personen in einem Zimmer zusammen gepfercht. Dass solche Lebenssituationen zu Aggressivität und Gewaltbereitschaft führen, war in der Soziologie schon lange vor der Flüchtlingswelle bekannt. Wir reden aber nicht mehr über Gründe, weil die Rechtspopulisten um AfD, Pegida und Teilen der CSU eine Deutungsgewalt besetzen, die viel zu oft unwidersprochen bleibt.
In Chemnitz brauchte es tatsächlich erst den Aufmarsch der gewaltbereiten, rechten Szene, um die Sprachlosigkeit zu beenden. Die Hoffnung, dass wir mehr sind, lebt. Die Zivilgesellschaft ist gefordert, bei jeder Gelegenheit die Sprache der Demokratie, der Menschenwürde und der Toleranz laut und deutlich zu gebrauchen. Der rechte politische Rand, so zeichnet es sich hier ab, lässt sich von dem gewalttätigen und kriminellen rechten Rand nicht mehr trennen. Dass es dieser Eskalation des Rassismus und autoritären Geistes bedurfte, um die liberale, demokratische Welt wieder zu beleben, ist zwar bedenklich, aber letztlich zählt nur das Ergebnis.
Die Abgrenzung zu rechten Strömungen, wie auch immer sie artikuliert wird, ist jetzt absolut notwendig, dass werden auch Edelpopulisten wie Bosbach bald merken. Für die CSU dürfte es zu spät sein, Seehofer oder Dobrindt kommen offenbar aus der Populismusfalle nicht mehr heraus und stärken weiterhin den rechten Rand, ohne selbst davon profitieren zu können.
Die Gruppe der anerkannten Asylbewerber ist übrigens in der Kriminalitätsstatistik unterdurchschnittlich vertreten, diese Menschen sind also gesetzestreuer als der Rest der Bevölkerung. Unsere Aufgabe ist es, den Flüchtlingen den Weg in die Gesellschaft zu ebnen, denn die Integration in die sozialen und ökonomischen Strukturen ist der einzige Weg, um dem Misstrauen und der Stigmatisierung entgegen zu wirken.
Frank Schöler